Geliebte Elli
Elli 22.12.1995 - 22.2.2013

Zweiundzwanzig

In Erinnerung an einen ganz besonderen Hund

 

Geliebte Elli,

 

Pappi wird komisch – zündet Kerzen an und bürstet die Katze. Aber auch Mammi entwickelt eine merkwürdige Eigendynamik: räumt auf und putzt die Bude – völlig freiwillig ...

 

 

Für uns beginnt eine schwierige Zeit; eine Zeit, vor der wir uns sehr gefürchtet haben.

Und nun ist sie da: Das Leben hier ohne dich ...

 

 

Vor 17 Jahren ging es mir schon mal so schlecht. Irgendetwas ist heute anders.

Aber von vorn ...

 

 

Am 22.12.1995 wurdest du geboren; ein E-Wurf, irgendwo in Essen, ganz nahe an Nienhausen.

Deshalb auch dein Name: Elena vom Revierpark.

Genau 22 Tage später sollte ich meinen 22. Geburtstag feiern ...

 

Zeitgleich in Oberhausen. Mein Vater hatte seinen ersten dicken Schlaganfall, ich hatte einen Deppen zum Freund und meine Mama war einsam – und „auf den Hund“ gekommen. Ich versuchte ihr dieses Projekt eindringlich auszureden. Verhindern konnte ich das nicht. Höre mich noch sagen: „Nicht so einen Cäsarhund. Nimm wenigstens einen richtigen. Goldies sind doch toll!“ Und dann wurde ich richtig fett krank. Welch günstige Gelegenheit: „Alex, ich hab mir einen Westi gekauft!“

 

Irgendwann im Februar – es würde mich jetzt nicht überraschen, wenn es der 22. war - sollten sich zwei Steinböcke dann zum ersten Mal begegnen. Noch ein wenig schwach auf der Brust trug ich dich unter meiner warmen Jacke durch die Gegend, nachdem das Projekt „Wir lernen uns bei einem Spaziergang kennen“ gründlich daneben gegangen war. Keinen Meter bist du gelaufen. Du warst auch nur ein bisschen erschrocken, dass wir von Welpen trotz „Früher-Hunde“ so gar keine Ahnung zu haben schienen. Zugegeben: Du warst ne Süße!

 

Etwas länger als deine Geschwister durftest du mit deiner Mama und deinem alten Rudel zusammenleben. Meine Mama brauchte erst Ferien, um euch an ein gemeinsames Leben zu gewöhnen. Und ich war eine ehrgeizige Studentin, die zudem ihre Brötchen mit ein paar Nebenjobs verdienen musste.

Außerdem wollte ich auch gar keinen Hund!

 

Am 22.3.96 war es dann so weit: Du durftest endlich „ganz“ an dem Ort wohnen, den du durch viele Tages- und Wochenendausflüge schon kennen und lieben gelernt hattest. Schmachtendorf war auch nicht die schlechteste Ecke zum Größerwerden. Komisch; mich zog dieses Örtchen, in dem ich später mein Referendariat absolvieren sollte, auch immer öfter magisch an. Nicht, dass ich nicht immer gerne zu meiner Mama gefahren wäre; aber dein Dorf war plötzlich auch werktags und zu studentenuntypischen Zeiten ausgesprochen attraktiv. Und ich brauchte plötzlich ziemlich dringend einen Schlüssel zu deiner Wohnung. Falls mal was ist ...

 

Dass du mal mein Seelenhund werden würdest war relativ schnell klar. Aber wir brauchten eine günstige Gelegenheit. Nicht, dass es geplant war ...

 

Im selben Jahr zog ich von zu Hause aus - in meine erste eigene Wohnung nach Bottrop. Der Depp war wieder derselbe. Immerhin: Gemocht hat er dich auch – war ja auch nicht sonderlich schwer. Nur ins Bett durftest du nicht und Gesichtlecken war tabu. Tagsüber habe ich dich oft abgeholt. Welch glücklicher Umstand, dass meine Mama noch einer zweiten Leidenschaft frönte: Tennis! Ich war plötzlich eine nur noch halb so ehrgeizige Studentin – und zum Leben reichten notfalls auch Tütensuppen. Die kosteten damals auch nicht viel ...

 

Es kam auch vor, dass du über Nacht bleiben durftest. Ich liebte diese Auswärtsspiele mit anschließender Siegesfeier. Und natürlich war es unzumutbar, einen jungen Hund nachts aus dem Tiefschlaf zu reißen, um ihn in seine Heimatgefilde zu chauffieren. Dass wir abends oder noch später zum Pipimachen schnell mal die 20 km durch die Dunkelheit gefahren sind, weil du in Bottrop keine geeignete Stelle zum „Lösen“ gefunden hattest, das haben wir beide natürlich tunlichst verschwiegen. „Sie schläft doch schon so schön!“, wurde dann halt eben kurz am Telefon geklärt. Und du hast mir vom Bett aus zugezwinkert. Den Deppen hatten wir für diese Nächte selbstverständlich ebenfalls ausquartiert.

 

Wir besuchten gemeinsam die Hundeschule, die meine Mama für dich ausgesucht hatte. Und deine Freunde Ratz und Billy durften mit. Du warst der 100-Punkte-Hund und Agility war deine Leidenschaft. Die riesige A-Wand wurde für dich immer etwas flacher gestellt, aber du hast den Dicken und Dünnen, Großen und Kleinen immer gezeigt, wie das geht. Nur „Weit-Hopp“ war nicht so ganz dein Kommando... Hatte was von Treppensteigen; das hast du zumindest hoch nach mehreren Bauchklatschern auch nicht mehr gemacht ...

 

Von Bottrop aus bin ich nach Gahlen in unsere heutige Heimat gezogen, eine Heimat, die wir beide liebten und in der wir nun ohne dich weiterleben müssen. „Nix da!!!!“, höre ich dich jetzt sagen, „Ihr dürft!!!! Nicht irgendwie. Leben is voll supi!“

Aber auch dazwischen hat sich vieles ereignet ...

 

Mein toller Patenjunge wurde geboren und meine Mama folgte dem Ruf ihres Herzens nach einem Omma-Alltag. Sie wurde auch wirklich dringend an vorderster Front gebraucht, und so hatten wir beide noch mehr schöne, aufregende und arbeitssame Stunden, denn euren Erst-Wohnsitz verlegtet ihr beiden von ganz inoffiziell bis verbrieft und besiegelt ebenfalls in dieses nette Dorf am Rande des Ruhrgebiets. Da der sich erst im Aufbau befindende Resthof über keine Treppe in die Wohnräume verfügte und du schließlich keine Leitern steigen konntest (DAS habe ich dir zum Glück nie beigebracht!) , MUSSTEST du notgedrungen mit in meinem Familien-WG-Zimmer pennen. Ratz da, Freunde von Ratz da, Familie da, Pferde da, Alex da – Rudel komplett. Wie nett!

 

Irgendwie hat meine Mama immer gespürt, dass du mein Hund warst – und bleiben solltest. Sie hat dich deswegen nie weniger geliebt, aber was man liebt, muss man auch loslassen können. Und so hieß die offizielle Begründung für den inoffiziellen Frauchenwechsel: „Ich hab sündhaft teure Krippenfiguren unterm Baum...“

 

Über unser Leben und unsere Abenteuer könnte ich Bücher füllen. Sie würden von einem zweiten Deppen und einem aufregenden Staatsexamen, von einem anstrengenden Referendariat und einer Doppelhochzeit mit Doppelscheidung erzählen – oder auch von einem Leben zwischen Rotstift und Schwesternhäubchen. Ein Buch, dicker als die Bibel und spannender als die Bildzeitung. Du warst immer da – wenn es mir gut ging und wenn das Leben über mir zusammenbrach. Außer heute ...

 

Es brauchte also zwei Deppen, bis ich deinen Pappi traf. Dass er – und nur er – die richtige Wahl war, merkte ich schon alleine daran, dass du freiwillig das zweite Kissen räumtest und dich nunmehr am Fußende genau in unserer Mitte zusammenrolltest. Das war dein Platz – im alten und im neuen Bett. Denn deinen Status als Ex-WG-Hund änderten wir im Jahre 2006, als wir unsere damalige gemeinsame Wohnung freiwillig für eine Freundin räumten und noch näher zu den Pferden zogen. Die alte Familie und uns trennten nur wenige Meter und auch dein Freund Ratz war trotzdem immer in deiner Nähe. Unsere 17 Kaninchen, Meerschwein Alf und Frau Meyer nahmen wir selbstverständlich mit.

Im Gegensatz zu ihr hattest du dich ganz schnell an dein neues Zuhause gewöhnt – und aufgepasst, dass die Kätzin nur die Hälfte des neuen Mobiliars zu Kernschrott verarbeitete. Der einzige, der zu unserem Glück fehlte, war mein Papa; er hat als erster auf die andere Seite gewechselt und verantwortungsbewusster als im Leben hier eure-unsere Plätze schon Mal freigehalten ...

 

Deine alte Familie wurde größer – nicht erst durch Pappis und meine amtliche Eheschließung im Herbst 2008 bzw. das Versprechen vor Gott im darauffolgenden Sommer. Pappis Eltern waren für dich die besten Tageseltern der Welt. Und als wir deiner Tagesmama den „Fesi-Man“ anschleppten, hattest du auch wieder einen Tagesbruder. War schon blöd, so ohne Ratzi ...

 

Männi und Mäusi ... Heute hat Felix sich in deinen Korb gelegt. Mitten auf den Lars. Viel Platz hatte der Gute nicht. Was du nicht wolltest, hat er alles gefressen. Und du wolltest immer häufiger nicht und schon gar nicht alles ... Aber du warst immer glücklich und zufrieden – fast bis zum Schluss!

 

Mit 14 Jahren hattest du deinen ersten größeren gesundheitlichen Durchhänger. Wie viele Hunde werden eigentlich wesentlich älter? Das war die Zeit, in der wir deine neue Tierärztin trafen. Ihr machtest du von vorneherein klar: „Ich lebe ewiglich!“ Mit ihrer Unterstützung und deinem riesigen Terrierherz verpuffte der Durchhänger stinkend im Wind. Du warst noch lange nicht bereit, dieses Leben hier zu verlassen. Wir hatten ja auch die 22.000 km noch nicht voll ...

 

Einen Teil der fehlenden Kilometer holten wir unter anderem im letzten Urlaub in Waldbrunn auf. Geplant war die Rentner-Runde „Round about the Katzenbuckel“. Entweder hast du das gemacht, oder Pappi und ich sind echte Vollpfosten im Kartenlesen. Aus den geplanten 5 km wurden 15 – und die bist du tapfer marschiert, im stolzen Alter von fast 16 Jahren.

Dass du nach einem zweistündigen Nachmittagsschläfchen noch eine Runde durchs Feriendorf wolltest – schließlich waren noch nicht ALLE Nachrichten von Freund und Feind „überpisst“ - sei hier nur am Rande erwähnt. Und wenn jetzt einer glaubt, das wäre der einzige Gewaltmarsch jenes Urlaubs gewesen, dem sei gesagt, dass wir uns am nächsten Tag direkt noch einmal im Höllgrund verirrten ...

 

Vor den Sommerferien des Jahres 2012 war sie dann wieder da, die gesundheitliche Schlappe, von der wir dachten, du hättest dein Leben hier jetzt genug gelebt. Ich verabschiedete meine Kinder mehr als flüchtig in die Ferien und rief deinen Pappi an: „Fahr mit zu Anja. Es könnte das letzte Mal sein.“ Ich wusste, dass deine Tageseltern gut auf dich aufgepasst hatten, dass dein Tagespapa den Aldiwagen bis zum Anschlag voll mit „Lecker & Co“ hatte, dass deine Tagesmama mit ihren fast 80 Lenzen mit dir über die Teppiche rutschte, um dir diese Kollektion in großen und kleinen Happen, vorgekaut und vorverdaut anzupreisen – und dass du wieder Mal nix davon wolltest. Das war auch gar nicht das Problem; du hast dir immer nur das genommen, was du wolltest und vor allem wann du es wolltest. Nachts, wenn andere schliefen, waren Pipi, Wasser und Lecker schließlich am allerbesten. Aber du warst seit zwei Tagen nicht so munter wie sonst und die Spaziergänge, die an diesen beiden Tagen recht kurz ausfielen, bereiteten dir keine Freude. DAS machte mir Angst!

Die Fahrt nach Rosendahl war die Hölle. Ich musste fahren, wäre sonst wahnsinnig geworden. Du hast im Kasimir auf Pappis Schoß geschlafen. Dass du dir nicht wie sonst trotz geminderter Sehkraft die Gegend beguckt hast, das hat auch ihn in eine Starre versetzt – und wir sprachen kein Wort. Wen wundert es jetzt, dass wir uns erst einmal tüchtig verfuhren?

Bei Anja stiegst du aus und beschnüffeltest in Elli-Manier die spannende Umgebung – wie sonst auch, vielleicht etwas zaghafter als gewohnt. Ich war verwirrt. Anja kam mir entgegen und mir liefen die Tränen: „Es passiert jetzt nur noch, was Elli will!“ „Das sowieso!“, waren ihre knappen Worte und sie bot dir ein Lammleckerlie an. Du fraßest, bepisstest den Hof, holtest dir ne Spritze ab und wir fuhren mit einem geänderten Medikamentenplan nach Hause. Das muss der Moment gewesen sein, an dem ich wirklich ernsthaft glaubte, dass ich vor dir ins Gras beißen würde ...

 

Als du dich im November bei deinem allerletzten Treppenabstieg verletztest, verschwendete ich keinen einzigen Gedanken darauf, dass du unter Umständen nicht wieder laufen können würdest. Ich spürte, du würdest dich wieder zurück ins bewegte Leben beißen. Auch wenn es vielleicht länger dauern würde als bei einem jungen Hund. Nur ist auch nicht jeder junge Hund so gut trainiert und bemuskelt wie du ...

 

Vom 17. bis zum 20.12.2012 fuhren wir noch einmal mit meinen Kindern zum Hötzenhof. Zum dritten Mal auf Klassenfahrt – nur alle vier Jahre, versteht sich. Dass du nicht mehr auf dem Geschirrwagen heimlich in die Küche surfen würdest, war mir klar. Und ich hatte große Sorgen, ob die Entscheidung, dich noch einmal mitzunehmen, die richtige wäre. Aber ohne dich wäre ich nicht gefahren. Und am Tag der Abreise warst du mehr als hellwach. Am liebsten hättest du schon nachts zuvor vor deinen gepackten Koffern gepennt. Dieses Unterfangen mit Säugling und Kleinkind gleichzeitig zu planen, vorzubereiten und durchzuführen kann nicht aufwendiger sein. Aber ich habe wie du jede einzelne Minute genossen und war unbändig stolz auf meinen tollen Terrier.

Dass Gisela mir ihren ausrangierten Kinderwagen für unseren Ausflug nach Kalkar anbot, war weniger skurril als unbedingt nötig. Meine Schultern waren von der Nachtwanderung des Vortages nämlich noch ganz schön angenockt. Deine Elli-Tragetasche, die wir vor Jahren kauften und bislang nie benutzt hatten, hatte tiefe Druckstellen auf meinem Balg hinterlassen. Und so fuhr ich dich friedlich schlafend im Kinderwagen in das schöne Städtchen, das wir sonst zu Fuß unsicher gemacht hatten. Meine Kinder fanden das so was von normal, dass ihr durchgeknalltes Fräulein ihren Hund in einem Buggy transportiert...

Überhaupt sind sie so toll mit dir umgegangen. Jedes einzelne hat dein hohes Alter und die damit verbundenen Verhaltensregeln respektiert. Auch die, die sonst keine Grenzen kennen. Du hast sie alle verzaubert ...

 

Zwei Tage später feierten wir hier zu Hause deinen 17. Geburtstag. Ich freute mich wie doof auf die Ferien mit dir. Du hast einen neuen roten Mantel bekommen – was Leckeres wolltest du ja eh nicht - und das Wetter passte gut für einen ausgiebigen Geburtstagsspaziergang. Es war gar nicht mal so kalt und vor allem angenehm trocken. Und Pappi und ich freuten uns, wie sehr du die große Venn-Runde genossen hast. Die liefen wir ja in der letzten Zeit nur noch gelegentlich – wenn du wirklich und richtig gut drauf warst.

 

Weihnachten fand in diesem Jahr erstmals seit ganz vielen Jahren wieder unter deiner Regie statt. Du hast friedlich auf deinem Kissen gepennt und Omas Kuchen vom Boden gelutscht. Der war wohl lecker. Wir mochten ihn nicht ganz so gerne ...

 

Silvester hast du gut behütet im Bett deiner Tageseltern verschlafen. Das war dir lieber, als im Stall auf die Pferde aufzupassen. Ein unbestrittener Vorteil des Alters ist das nachlassende Gehör. Diese Scheiß-Böller hatten dich schon im letzten Jahr nicht mehr wild gemacht.

 

Es folgten noch viele schöne kurze und längere Spaziergänge, die Pappi und ich zumeist rückwärts laufend zurücklegten. Langsam, aber wirklich nur langsam, wurde Felix tatsächlich schneller als du. Aber vielleicht hast du auch einfach nur disziplinierter geschnüffelt. Man muss diesen jugendlichen Fratzen ja schließlich gewisse Tugenden mit auf den Weg geben ...

 

Und dann kam der Tag, an dem ich spürte, dass es langsam hieß, Abschied zu nehmen. Deine allabendlichen Tyrannen-Rituale wurden seltener. Hatten wir Spaß an den Abenden, an denen du mit einem diebischen Vergnügen vornehmlich den Pappi von der Couch hochtriebst und aus einer Kollektion von mindestens 22 verschiedenen Futtermitteln für Mensch, Katz´ und Hund nur die besten Stücke für dich heraussuchtest! Aber sie wurden seltener. Selbst Stinkefleisch schmeckte irgendwann nicht mehr immer.

 

Ob es die neu entzündeten Pfötchen waren, oder ein Infekt, oder tatsächlich die Nieren, die seit mindestens sieben Jahren deine Baustellen waren und jetzt langsam ihren Dienst einstellen wollten, wir wissen es nicht und es spielt auch keine Rolle. Du fraßest zunehmend weniger und deine bewegten Kräfte schwanden sichtlich. Aber du sagtest an keinem Tag: „Ich mag nicht mehr! Ich will gehen!“ So versuchten wir es noch mit einer Antibiose und einem Cortison, denn deine Ansagen auch an deine Tierärztin waren eindeutig: „Jetzt noch nicht!“ Wir ernährten dich entgegen meiner ursprünglichen Auffassung mit Hipp aus der Spritze. Niemals hätte ich vorher geglaubt, dass ich meinen Seelenhund zwangsernähren würde. Aber ich hätte meinen Seelenhund, der über die Jahre auch mit Pappis Seele verschmolzen ist, kennen müssen. Du wolltest und würdest den Zeitpunkt, an dem du die Reise über den Regenbogen antrittst, völlig allein bestimmen. Uns blieb nur, dich dabei zu unterstützen.

 

Auch unsere Kräfte schwanden, obwohl die Zeit nur sehr kurz war, in der du dich auf deine Reise vorbereitet hast. Du musst verstehen, dass wir litten und voller Angst vor diesem Moment waren. Aber wir sahen dir in die Augen und versprachen dir, tapfer zu sein und jeden deiner letzten Schritte in Achtung, Würde und Respekt zu begleiten.

 

Am Donnerstag Abend waren wir an einem körperlichen und seelischen Tiefpunkt. Eigentlich wärest du jetzt bereit gewesen zu gehen. Aber du hast gespürt, dass wir für den Moment keine Kraft mehr hatten. Und du bist zurück in deinen Korb gestiefelt und hast uns mit großen, wachen Augen angesehen: „Mammi, Pappi, jetzt gehen wir erst mal ins Bett. Morgen ist ein neuer Tag. Aber vorher bitte den Wasserpott füllen.“

 

Die Nacht war wie die Nächte zuvor. Ruhig, friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. Wir wussten das so genau, weil wir seit Tagen nachts nur noch in einem Dämmerzustand waren und nicht mehr ohne Licht im Schlafzimmer sein konnten. Und doch verschenktest du in dieser Nacht deine letzte Kraft – an uns!

 

Ich wusste, Pappi wusste, alle wussten. Dieser 22. Februar, genau zwei Monate nach deinem 17. Geburtstag, war ein guter Reisetag! Wir erledigten unsere gemeinsamen Morgenrituale wie gewohnt. Es war in deinem Sinne: Aufstehen, Spritze abholen, Hipp schlabbern, ... zu Tante Litta getragen werden. Es war der erste und einzige Tag, an dem du diesen Weg nicht auf deinen eigenen Füßen schafftest und Pipimachen auch nicht mehr wichtig war. Im Paradies muss man nie Pipi...

 

Pappi fuhr zur Arbeit, Mammi fuhr in die Schule. Es war Gott sei Dank Freitag – der kürzeste Arbeitstag der Woche. An diesem Tag sah ich plötzlich und endlich wieder klar. Der Schmerz saß so tief, aber ich fühlte mich getragen und geborgen – ganz eigenartig. Ich blieb jede Sekunde und immer im Moment, tat einen Schritt nach dem anderen und brauchte weniger Rescue als in den Tagen davor. Ich funktionierte mechanisch und doch bei vollem Bewusstsein. Alles fühlte sich richtig an. Der Schmerz sollte seinen Raum bekommen. Aber nicht jetzt. Nicht in den ganzen Momenten bis zu unserem endgültigen vorläufigen Abschied. Und ich blieb immer in jedem Moment.

 

Ich fuhr nach Hause und bat Sandra die Fütterung der Pferde zu übernehmen. Ich blieb in dem Moment.

Ich stellte mein Auto ab und ließ dich noch bei deinen Tageseltern. Ihr solltet noch einen Moment Zeit miteinander verbringen dürfen. Ich blieb in dem Moment.

Ehe ich den Mantel auszog räumte ich den Kühlschrank leer: Deine Medikamente, die angebrochenen Hipp-Gläschen, alle Schmankerl, die dir kein Vergnügen mehr bereitet hatten. Ich blieb in dem Moment. Sorgsam legte ich alles in den Müll und blieb in dem Moment.

Ich rief deine Tierärztin und sagte ihr: „Heute ist ein guter Tag, um zu gehen!“ Ich blieb in dem Moment. Erst dann zog ich meinen Mantel aus und begann mit der Hausarbeit, die für gewöhnlich unsere Marianne an einem Freitag erledigt. Ich blieb in dem Moment.

Es sollte für dich ein ganz normaler Freitag sein.

 

Ich blieb in dem Moment und mein Schmerz wurde umleuchtet von Dankbarkeit. Wieder einmal hatten wir beide den Jackpot geknackt. Es war mittags und nicht nachts, wir mussten dich nicht ins Auto packen, sondern deine Reise sollte auf deinem Kissen und an deinem Ort im Arbeitszimmer beginnen – dort, wo du in der letzten Zeit am liebsten gelegen hast. Und wir machten niemandem einen Umstand, etwas, was Pappi, du und ich nicht gut können. Anja war nicht in der Schweiz oder irgendwo in der Bundesrepublik unterwegs. Ihre heutige Tour hieß Bottrop und Hünxe. Nur zeitlich würde sie ihre Termine etwas nach hinten verschieben müssen. Ich blieb in dem Moment - und nahm Pappi in diese Momente mit, denn er kam früher als gewöhnlich nach Hause.

Wir vertrauten dir und uns selber. Wir weinten, aber alles fühlte sich richtig an.

 

Um 14.15 Uhr dann holten wir dich nach Hause und legten dich auf dein Kissen an deinen Ort. Alles war okay, das sagten wir dir und du uns. Wir ließen dich schlafen und blieben in dem Moment.

Nicola wollte dich sehr gerne mit in den Regenbogen-Express setzen und wir waren froh. Alles passte. Alles war ruhig. Alles war friedlich.

Du durftest so ruhig und entspannt einschlafen. 15 Minuten blieb ich bei dir und streichelte dich, bis das Narkosemittel wirken sollte. Aber ich spürte, dass du nicht ganz fest einschlafen würdest, wenn ich dich jetzt nicht losließ. Jede Narkose in deinem Leben lief so ab. Zu deiner Kastration hattest du schließlich auch die Dosis für ne Dogge verbraucht. Also streichelte und küsste ich dich noch ein letztes Mal und ging zu deinem Pappi. Ich blieb in dem Moment.

Und ich wusste, unter Nicolas Schirm würde es auch dir nicht mehr schwerfallen loszulassen.

 

Die allerletzte Spritze, also die mit dem Dopingmittel für Extremsportler, die, die jene brauchen, wenn sie eigentlich keinen Schritt mehr gehen mögen und trotzdem wollen, diese dagegen wirkte in Sekunden. Du warst abgeflogen. Regenbogenzüge laufen nicht auf Schienen, Regenbogenzüge fliegen!

 

Um 22 Uhr irgendwas bist du gelandet, nachdem wir dich und dein Kissen und Pappis Feuerwehrpullover und deine Decke tief in der Erde in „deinem“ Garten vergraben hatten. Im Badezimmer krachte der Korb mit deinem Halsband in die Badewanne. Wenig später wackelte für einen Moment das ganze Haus ...

 

 

Geliebte Elli,

 

du fehlst uns! Wir haben dir Auferstehungs-Eier gekauft und Blumen und ein wenig Schmuck für das eiserne Kreuz, das dein Pappi zusammengeschweißt hat – für einen eisenharten Terrier, der das Leben liebte. Und wir versprechen dir, dass wir in dieses Leben zurückfinden werden – wenn nach der Trauer nur noch die dankbare Erinnerung bleibt ...

 

 

... an einen ganz besonderen Hund!